Universe Unlimited
Theisia Mentala Individuae

 

15.12.2020 - Schreiben mit Gunnar - 3

 

ACHTSAMKEIT 

 Wohl an! – ach ihr Gedanken, die ich greifen will und die ihr mir doch nicht mehr seid als Windhauch schon längst erlebter Wahrheiten: zeigt euch mir! 

Helft mir erneut, ein Licht in die triste Düsternis verworrener Schwärze zu schlagen mit der Klinge des reinen Wortes, um das ich hier treu bitte. 

Seid mir wieder Lehrmeister und Zuhörer meiner selbst – wie schon so oft in meinem Leben; machet euch breit in meinem Geiste, nehmt Platz unter dem Baldachin ersonnener Träume, senkt euch nieder auf den flauschigen Boden sinngetränkter Federn, die euch weich auffangen und sicher niederholen. 

Lasst mich hinüberwallen, bedeutungsschwanger in der Macht eurer Formen euch dienend und zugleich nutzend, gar wie es mir gefällt. 

Denn ihr seid alles durch mich, und nichts ohne mich – sowie auch ich nur mit euch einen Sinn mir geben kann indem ich ihn durch euch greife. 

Ich spüre, ich merke, ich ahne. 

Nichts mehr und dennoch: Worte, Wörter, Sätze formieren sich, indem ich sie denke. Doch wie mache ich das? 

Ich weiß es nicht! 

…und das macht gar nichts. 

Ich lasse es geschehen, und aus mannigfachem einleitenden Geschwafel bildet sich eine Spur, der ich folge: nur in mir mit mir kann das sein, was ich gerade erlebe; ich kann davon nur berichten, denn während ich es aufschreibe, ist es schon lange weg, nicht mehr da, vergangen. 

So bin ich nur ein Chronist, der ungenau von dem schreibt und redet, von dem er nicht weiß, woher es kam, welche Bedeutung es hat. Ich kann nur nachher krampfhaft versuchen zu eruieren, was in mir war, was mir was sagen sollte. 

Und dennoch bin ich in meiner Wortgewandtheit so sicher wie ein Fisch im Wasser: ich kann klare Gedanken fassen, wenn ich in einem Thema bin. Packt mich die Emotion beliebiger Art, so schwillt es bei mir über und es quillt hervor Wort für Wort beschreibender und gelebter Gefühle. 

Und doch weiß ich nicht, welcher Satz dem diesen folgen wird – und das muss ich auch nicht, denn Wissen ist nicht Macht, sondern bedeutet rein gar nichts auf die Person bezogen. 

 Wissen ist nicht mehr als ein Spüren, ein Merken, ein Ahnen. 

Woher weiß ich, was ich weiß? Durch Erleben? Durch Erinnern? Durch Gesagt-bekommen? 

 Und wer gewichtet diese Dinge, die ich auf allen Ebenen meiner Physis aufsog in all den Jahren meiner Existenz? 

Meine Bedürfnisse, die ich ach so oft nicht zu spüren vermag, lassen mich handeln – ohne zu wissen, was ich brauche um zu leben, zu atmen, zu sein. Sie sind es, die die Ausläufer meiner Seele in meinem Inneren sind, einer Seele, die so rein und so verletzlich sich kein anderes Gehör zu mir verschaffen kann als durch den Ausdruck meiner Gefühle, die mich inspirieren zu meinen Taten, die ich dann betrachtend versuche zu verstehen: durch meine Gedanken, durch meine Worte. 

Wohin soll ich gehen? Wieso kam ich gerade von da her? Wer warf mich in die Welt? Wer bin ich? 

Mich selbst zu spüren heißt nicht mich zu ertasten, mich zu berühren, mich zu schmecken, zu riechen, zu hören. 

Mich zu bemerken kann ich selbst, können andere; doch was heißt das, wenn ich ohne die wichtige Aufmerksamkeit mir selbst gegenüber nur aufmerksam im Außen agiere, andere bemerke und die Welt nicht verstehe? 

Eine Ahnung von mir selbst zu haben, mich selbst zu erahnen – welch Abenteuer, welche eine Ankunft bei mir selbst! 

Ein Gedicht aus alten Zeiten schwebt zu mir herüber auf einem Blatte, das vom Windhauch des Geistes getragen mir folgende Zeilen schenkt: 

Ich stand am Rande des weiten Ozeans
und konnte den Horizont berühren;
nur ganz leicht hätte ich meinen arm ausstrecken brauchen,
meinen Finger von mir weisen.
Ich hatte keine Erinnerungen mehr
und keine Träume.
Die Angst schlief,
zärtlich ruhig behütet,
sowie auch die Hoffnung schlummerte.
Ich blickte nicht zurück,
ich schaute nicht vorwärts;
ich stand nur am Rande des weiten Ozeans
und konnte den Horizont berühren. 

 Und so danke ich den Geistern, die ich rief, verweilte noch einen Augenblick, las das Geschriebene, nickte zufrieden und lebte eine Weile weiter.

 

Gunnar Kaiser verstarb mit nur 47 Jahren am 12.10.2023 an einem Krebsleiden.
IN MEMORIAM Gunnar Kaiser 

 

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